Wechselspiel(zeug)
Die großen Zentren der Volkskunst und Spielzeugherstellung aus Holz sind zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum: Oberammergau, Südtirol (Grödner Tal), Berchtesgaden sowie Sonneberg und das Erzgebirge. Diese Regionen vereint, dass durch die gebirgigen Höhenlagen die Erträge aus der Landwirtschaft für den Lebensunterhalt nicht reichten und die Einwohner auf Nebenverdienstmöglichkeiten angewiesen waren, bei denen sie auf den Waldreichtum zurückgreifen konnten.
Ein anderes verbindendes Element sind die gleichen Produktionsweisen: entgegen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung wurden handwerkliche Arbeitstechniken lange beibehalten und in Heimarbeit – das heißt auch Familien- und teilweise Kinderarbeit – ausgeübt. Gleichzeitig entstand ein Verlagshandels-System, in dem die Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen in finanzielle Abhängigkeit von den Verlegern gerieten. Gleich ist auch in allen Regionen, dass hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – also in einer Zeit des Niedergangs der Volkskunst vor allem wegen der Konkurrenz aus der industriellen Fertigung – Fachschulen für Holzbildhauerei oder Drechselei eingerichtet wurden, um künftige Generationen von Kunsthandwerkern besser auszubilden.
Seit den 1920er Jahren fanden daher in allen genannten Regionen Reformbemühungen um eine zeitgemäße Gestaltung der Produkte, sozusagen eine Transformation der Volkskunst in die Moderne statt. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dabei aber sehr unterschiedliche thematische Schwerpunkte gelegt. So wurde in Oberammergau die Spielzeugherstellung, seit die Konkurrenz des Nürnberger Blechspielzeugs übermächtig geworden war, bereits vor 1900 völlig eingestellt. Die Schnitzer und Bildhauer in dem Passionsdorf fokussierten sich auf Kirchenausstattungen, Figuren mit sakraler, historischer oder bayerischer Thematik, Krippen, Souvenirs und vor allem auch zunehmend individuelle Auftragsarbeiten. Auch ist die Anzahl der Holzbildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr stark zurückgegangen. Es gibt heute hier nur noch wenige, dafür aber hoch spezialisierte und künstlerisch orientierte Schnitzer und Holzbildhauer.
Völlig anders verlief die Entwicklung in den Orten im Erzgebirge, da dort nach dem Niedergang des Erzbergbaus seit dem 17. Jahrhundert eine ganze Region und nicht nur ein Dorf überwiegend von der Spielzeugherstellung lebte. So entwickelte man früh Techniken und Strategien, um in diesem Bereich wettbewerbsfähig zu bleiben. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts ist nachweisbar, dass in Seiffen gedrechselt wurde. Die alten Pochwerke des Zinnbergbaus wurden schrittweise zu Drehwerken umgebaut, um neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Eine besondere Kunst des Drechselns ist das Reifendrehen – erstmalig um 1810 erwähnt. Mit Hilfe dieser Technik stellt man unterschiedliche Profile her. Diese werden nach dem Drechseln vom Ring gespalten und beschnitzt. So entstanden die ersten Reifentiere und damit konnte Spielzeug viel schneller und damit auch bedeutend günstiger her[1]gestellt werden als bei der reinen Holzschnitzerei.
Nach 1900 reagierten die Seiffener Verleger auf die veränderten Lebensgewohnheiten und brachten als neues Produkt Miniaturspielzeug auf den Markt und erschlossen sich damit neue Käuferkreise. Zeitgenössische Motive, beeindruckende Miniaturdrechselei, detailgetreue Bemalung und die Fähigkeit, selbst kleinste Spielzeuge meisterhaft zu gestalten, wurde zu einer neuen Stärke der Seiffener Volkskunst. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden neben dem Spielzeug weihnachtliche Erzeugnisse, die Bezüge zur erzgebirgische Bergmannstradition aufweisen, hergestellt. Gedrechselte Lichterbergleute und Lichterengel, Räuchermänner und Nussknacker, Leuchter, Drehpyramiden und Schwibbögen eroberten seitdem zuerst die bürgerlichen Wohnzimmer in der Weihnachtszeit – zu Beginn in der eigenen Region, dann bis in die Großstädte und in alle Gesellschaftsschichten und bis in die Gegenwart hinein. Noch heute konzentriert sich diese Fertigung im Spielzeugdorf Seiffen und der Umgebung, inmitten des mittlerweile sogar als „Deutsches Weihnachtsland“ benannten Erzgebirges.
In dieser Ausstellung begegnen Exponate aus dem Erzgebirge Oberammergauer Objekten. Das Wechselspiel, die Möglichkeit zu vergleichen, sich in beide Regionen zu vertiefen, macht diese Ausstellung aus. Dank der vielfältigen Leihgaben privater Sammler können wir Exponate aus verschiedenen Regionen des Erzgebirges und aus mehr als 100 Jahren zeigen. Spielzeug bildet sozusagen die Welt im Kleinen ab und damit auch Geschichte und Geschichten. In vergangenen Jahrhunderten haben nicht nur Kinder gespielt, sondern auch Erwachsene – durch die Digitalisierung spielen kleine und große Menschen immer weniger mit real existierenden Objekten, die sie dabei anfassen und begreifen. Nicht zuletzt wollen wir mit dieser bunten Ausstellung Gelegenheit zur Freude am Spielerischen – Raum für Verspieltheit bieten.